Unter Bruch des
Völkerrechts
Die erste große außenpolitische
Operation, in die Frank-Walter Steinmeier
involviert war - damals noch als Staatssekretär
im Bundeskanzleramt und als Beauftragter für die
Nachrichtendienste des Bundes unter Kanzler
Gerhard Schröder -, war der Angriffskrieg gegen
Jugoslawien im Frühjahr 1999. Über den Überfall
auf Jugoslawien hat später Schröder selbst
geurteilt, es sei ein "Verstoß gegen das
Völkerrecht" gewesen: "Da haben wir unsere
Flugzeuge, unsere Tornados nach Serbien
geschickt, und die haben zusammen mit der NATO
einen souveränen Staat gebombt - ohne dass es
einen Sicherheitsratsbeschluß gegeben hätte."[1]
Als Staatssekretär im Kanzleramt ist Steinmeier
damals eng in die Vorbereitung und das Führen
des Krieges involviert gewesen. Als
Geheimdienst-Beauftragtem kann ihm zudem nicht
entgangen sein, dass der Bundesnachrichtendienst
(BND) die damaligen Berichte über angebliche
jugoslawische Massaker, mit denen die
Bundesregierung den Krieg legitimierte, klar als
Kriegslügen einstufte; ein Journalist mit guten
Kenntnissen über den Dienst berichtete bereits
im April 1999, "viele der Geschichten über
angebliche Massengräber und Greueltaten der
Serben" würden "von Pullach als
nachrichtendienstliche Desinformation bewertet,
mit denen Politik gemacht" werde.[2] Zu denen,
die damals Politik machten, gehörte Steinmeier;
die Erkenntnisse des BND hielten ihn nicht von
der Unterstützung des Krieges ab.
Mit Faschisten und
Oligarchen
Nach dem Kosovokrieg hat für das
Bundeskanzleramt, in dem Steinmeier ab Juli 1999
als Chef amtierte, rasch die Russlandpolitik
erhebliche Bedeutung erlangt. Hatte der
Kosovokrieg nicht nur Jugoslawien, sondern
zugleich mit Belgrad auch dessen traditionellen
Partner Moskau empfindlich geschwächt, so
strebte Berlin nun nach Zugriff auf die riesigen
russischen Erdgasressourcen. Dazu war eine Phase
der Kooperation mit Russland unumgänglich.
Schröder hatte die Erdgaskoooperation in seiner
Amtszeit als Ministerpräsident Niedersachsens
(1990 bis 1998) gemeinsam mit einem seiner
engsten damaligen Mitarbeiter, Frank-Walter
Steinmeier, eingeleitet (german-foreign-policy.com berichtete
[3]); beide setzten sie nun im Berliner
Kanzleramt fort. In den folgenden Jahren ist es
Berlin - auch dank Steinmeier, der 2005 an die
Spitze des Auswärtigen Amt wechseltes -
gelungen, deutschen Konzernen eine starke
Stellung in der russischen Erdgasproduktion und
beim Transport des Rohstoffs per Pipeline in
Richtung EU zu sichern.[4] Das hat den damaligen
Außenminister nicht davon abgehalten, ab 2007
die Weichen in Richtung EU-Assoziierung der
Ukraine zu stellen, um den deutschen
Einflussbereich auf Kosten Russlands nach Osten
auszudehnen. Den Umsturz in Kiew im Februar 2014
hat Steinmeier - nach vierjähriger Zeit in der
Opposition - dann wieder als Außenminister
begleitet. Um Moskau zurückzudrängen, hat er
unter anderem den Führer einer faschistischen
ukrainischen Partei [5] sowie berüchtigte
ukrainische Oligarchen [6] zu akzeptierten
Verhandlungspartnern aufgewertet. Die Folgen für
die Ukraine sind bekannt.
Verschleppung und
Folter
Jenseits der deutschen Expansion
nach Ost- und Südosteuropa ist für Steinmeier -
vor allem in seiner Amtszeit als Kanzleramtschef
- der sogenannte Anti-Terror-Krieg prägend
gewesen. In die systematische Verschleppung von
Verdächtigen durch die CIA in geheime
Folterkeller in Europa, Afrika und Asien waren
von Oktober 2001 an per Zuarbeit auch deutsche
Stellen involviert; darüber hinaus nahmen
BND-Agenten, andere Geheimdienstler und
Polizisten mehrfach an Verhören verschleppter
Deutscher teil.[7] Steinmeier, damals im
Kanzleramt zuständig für den BND, war zudem als
Teilnehmer der Kanzleramts-"Sicherheitsrunden"
immer wieder in den Komplex von Verschleppung
und Folter involviert. Über die Berliner
Kollaboration mit der CIA hat sich später etwa
der liberale Schweizer Politiker Dick Marty in
seiner Funktion als Sonderermittler des
Europarats zu den kriminellen
Geheimdienstmachenschaften beklagt.[8] Einer
Entscheidung der Bundesregierung, die Steinmeier
mit verantwortete, verdankt der Bremer Murat
Kurnaz vier Jahre Internierung im US-Folterlager
Guantanamo. Kurnaz, der 2001 von US-Stellen
verschleppt, gefoltert und in Guantanamo
festgehalten worden war, sollte nach dem Willen
der US-Regierung im Herbst 2002 nach Deutschland
überstellt werden; die US-Behörden waren zu der
Erkenntnis gekommen, er habe sich nichts
zuschulden kommen lassen. Bei einer Besprechung
im Kanzleramt wurde am 29. Oktober 2002 unter
Steinmeiers Mitwirkung entschieden, Kurnaz nicht
aus den Vereinigten Staaten einreisen zu lassen.
Das sei sogar "bei US-Seite auf Unverständnis"
gestoßen, hielt der BND wenig später fest. Die
Kanzleramtsentscheidung führte dazu, dass Kurnaz
erst am 24. August 2006 aus der US-Folterhaft
freikam: nach dem Regierungswechsel in
Berlin.[9]
Geheimdienstkooperation
mit Syrien
Von aktuellem Interesse ist,
dass der BND - unter der Oberaufsicht des
Kanzleramtschefs - Anfang 2002 in Gespräche mit
der syrischen Auslandsspionage über einen Ausbau
der geheimdienstlichen Zusammenarbeit eintrat.
Dabei ging es - neben der Abwehr unerwünschter
Migration - ebenfalls vorrangig um den
"Anti-Terror-Krieg". Die Kooperation mit
Damaskus war selbst im Kanzleramt nicht
unumstritten, weil die syrischen Dienste für
ihre Folterpraktiken berüchtigt waren; so
berichtete etwa der damalige
Kanzleramts-Referent für Internationalen
Terrorismus, Guido Steinberg, er habe vor einer
engeren Zusammenarbeit mit Syrien "wegen der
dort praktizierten Menschenrechtsverletzungen
gewarnt".[10] Unter seinem Chef Steinmeier
schlug das Kanzleramt die Warnungen jedoch in
den Wind, baute die Kooperation aus - und
entsandte von Oktober bis Dezember 2002 mehrmals
Geheimdienstler und Polizisten nach Damaskus und
in das damals unter starkem syrischen Einfluss
stehende Beirut, um dort an Verhören in
Foltergefängnissen inhaftierter Deutscher
teilzunehmen (german-foreign-policy.com berichtete
[11]). Er habe es damals für "notwendig"
erachtet, "dem jungen Präsidenten Assad Wege der
Zusammenarbeit mit dem Westen aufzuzeigen",
erklärte Steinmeier kürzlich.[12] Seit dem
Sommer 2011 zieht Berlin allerdings die
syrischen Folterpraktiken, aus denen es zuvor
Profit zu schlagen versuchte, heran, um das
Streben nach einem Umsturz in Damaskus zu
legitimieren.
Rückendeckung für
Jihadisten
Dabei hat das Auswärtige Amt
unter Steinmeier in Syrien zuletzt Jihadisten
den Rücken gestärkt, die es zuvor sogar unter
faktischer Billigung von Folter bekämpft hatte.
Anfang 2016 etwa setzte Steinmeier sich
persönlich dafür ein, die
salafistisch-jihadistische Miliz Ahrar al Sham
zur Verhandlungspartnerin in Friedensgesprächen
aufzuwerten. Ahrar al Sham kooperiert eng mit
dem syrischen Ableger von Al Qaida, dem
Hauptfeind im früheren "Anti-Terror-Krieg". Die
deutsche Justiz stuft die Miliz entsprechend als
Terrororganisation ein und stellt daher die
Unterstützung für sie unter Strafe (german-foreign-policy.com berichtete
[13]). Der Sache nach trifft die Einstufung
einen wichtigen Aspekt der Syrienpolitik des
Auswärtigen Amts unter seinem einstigen
Minister, dem künftigen Bundespräsidenten.